In Deutschland gehen die Insolvenzzahlen weiter zurück: 2020 voraussichtlich um 2 Prozent. „Aber die Luft wird dünner.“ Eine Analyse von Coface-Volkswirtin Christiane von Berg.
In den vergangenen Monaten wurde immer wieder über Stellenabbau und einige Insolvenzen in der deutschen Industrie berichtet. Dies könnte zu der Annahme führen, dass die Zahl der Insolvenzen in Deutschland 2019 erheblich zugenommen hätte. Dem ist aber nicht so. Denn obwohl die Industrie sich seit Ende 2018 in einer Rezession befindet, gilt dies nicht für die Gesamtwirtschaft.
Derzeit bremst zwar die Industrie das Konjunkturwachstum aus, dies wird allerdings vor allem vom Dienstleistungssektor mit robusten Wachstumsraten aufgefangen. Das Wachstum der Gesamtwirtschaft balanciert daher um die Null-Prozent-Linie im preis- und saisonbereinigten Quartalsvergleich herum. „Zusammengenommen erwarten wir daher für 2019 eine Jahreswachstumsrate der Gesamtwirtschaft von 0,5 Prozent zum Vorjahr. 2020 sollte die Jahreswachstumsrate kalenderbereinigt ebenfalls bei 0,5 Prozent zum Vorjahr liegen“, so Christiane von Berg.
Zwar dürften die Quartalsraten ein bisschen mehr Dynamik zeigen, jedoch werde die Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts von einem schwachen Jahresendstand 2019 starten müssen und daher vorbelastet sein. „Da wir in diesem Jahr mehr Arbeitstage haben, wird mit dem Kalendereffekt das Jahreswachstum in unserer Prognose voraussichtlich bei 0,9 Prozent liegen.“
Was heißt das nun für die Insolvenzen in Deutschland? „Tatsächlich haben wir uns in Deutschland an rückläufige Insolvenzzahlen gewöhnt“, so die Coface-Volkswirtin. Das letzte Jahr mit einem Anstieg war 2009. Seitdem gehen die Zahlen mal stärker, mal schwächer zurück. 2019 und auch 2020 sollten hier keine Ausnahme bilden. „Mit einem Rückgang der Insolvenzen von 3 Prozent und 2 Prozent zum Vorjahr zeigt sich allerdings auch, dass die Luft dünner wird“, so die Einschätzung. Auch bei den Insolvenzen, wenn auch mit zeitlicher Verzögerung, wird die derzeitige Konjunkturschwäche spürbar. Zudem braucht es nicht viel, um von -2 Prozent zum Vorjahr in den „positiven“ Bereich der Wachstumsraten zu wechseln. Mit -3 Prozent und -2 Prozent Insolvenzwachstum liege Deutschland unter der Prognose für den gesamten Euroraum. Coface erwartet hier einen Rückgang der Insolvenzen um 1 Prozent in den Jahren 2019 und 2020.
Spannend beim Thema Insolvenzen ist auch ein Blick auf die Branchenverteilung. „Bei Coface schauen wir uns dabei vor allem die Güterexport-orientierten Branchen an. Dabei sollte man beachten, dass die einfache Zahl der Insolvenzen in den Branchen nicht unbedingt miteinander vergleichbar ist.“ So sei die Zahl der Insolvenzen im Bau oder Einzelhandel branchenbedingt immer hoch, da es sich dabei um viele Kleinbetriebe handele und die Fluktuation in den Branchen recht hoch sei. Im Vergleich dazu gebe es generell deutlich weniger Pharmaunternehmen in Deutschland mit einer geringen Fluktuation. Die Zahl der Insolvenzen sei also hier grundsätzlich niedrig. Somit sage die Zahl der Insolvenzen als Niveau nicht unbedingt viel über die aktuelle Situation dieser Branche aus.
Um die Situation einer Branche besser zu verstehen, ist daher ein Blick auf die Veränderung wichtig. „Da es sich bei Insolvenzzahlen um saison-unbereinigte Zahlen handelt und monatliche Jahresraten oft Sondereffekte überzeichnen, schauen wir uns den Vergleich Jahresanfang bis zum letzten Monat der aktuellen Statistik (derzeit September) im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres an.“ Die Coface-Risikoeinschätzung beinhaltet unter anderem die Insolvenzen. Sie beruht aber auch auf diversen anderen Punkten. Die Skala hierzu reicht von niedrigem, über mittleres, bis zu hohem und sehr hohem Risiko. Bei den Branchen steht IKT für Informations- und Kommunikationstechnologie: Man sieht dabei, dass die Branchen Pharma, Papier und Verpackung sowie IKT einen besonders starken Rückgang der Insolvenzen verzeichnen. Die Chemiebranche, die Holzbranche aber auch Textil/Bekleidung und Automobil weisen recht starke Insolvenzanstiege aus. Die Gesamtzahl der Insolvenzen lag in der Summe Januar bis September 2019 bei 14.381, während sie 2018 im gleichen Zeitraum bei 14.715 lag. Dies ist demnach ein Minus von 2,3 Prozent im Jahresverlauf 2019 zu 2018.