In der aktuellen Krise geraten auch gesunde Unternehmen schnell an den Rand der Insolvenz. Um sie zu entlasten und ihnen eine Chance zu geben, auf die Krise zu reagieren, hat der Gesetzgeber einige wichtige Regelungen geändert. Gleichzeitig werden typische Risiken für Kreditgeber und Geschäftspartner im Umgang mit einem Unternehmen reduziert, das sich in einer Krise befindet. Die Maßnahmen zielen darauf ab, einen gesamtwirtschaftlichen Kollaps durch den aktuellen Lockdown zu vermeiden. Ein Fachbeitrag von Karsten Kiesel, Rechtsanwalt in der Kanzlei Schultze & Braun und Experte für Sanierungs- und Insolvenzberatung.
Viele Unternehmer erleben durch die Corona-Krise aktuell ein absolutes Horror-Szenario: Der Umsatz ist in vielen Branchen plötzlich eingebrochen, während die eigenen Kosten für Mitarbeiter und Gebäude weiterlaufen. Dadurch können die liquiden Mittel schnell aufgezehrt sein.
Für die meisten Gesellschaftsformen galt bislang: Wenn die fälligen Verbindlichkeiten nicht mehr bezahlt werden können oder eine Überschuldung besteht, muss der Geschäftsführer oder Vorstand unverzüglich – spätestens innerhalb von drei Wochen – einen Insolvenzantrag stellen. Tut er das bei der dann vorliegenden Insolvenzreife nicht, haftet er unter Umständen mit seinem Privatvermögen oder macht sich sogar strafbar.
Spielraum in der Ausnahmesituation
Dies ändert ein neues Gesetz vom 27. März mit dem sperrigen Namen COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG). Zwischen dem 1. März und dem 30. September 2020 sind betroffene und insolvenzreife Unternehmer nun nicht verpflichtet, einen Insolvenzantrag zu stellen – unter zwei Bedingungen. Zum einen muss die Insolvenzreife auf den Folgen der Ausbreitung des Virus beruhen. Zum anderen muss die Aussicht bestehen, dass das Unternehmen seinen Zahlungsverpflichtungen wieder nachkommen kann.
Diese Bedingungen sollen dafür sorgen, dass nur die von der Corona Krise getroffenen – grundsätzlich, aber gesunden – Unternehmen diese Hilfe nutzen können. „Trittbrettfahrer“, die auch vor der Corona-Krise schon akute Probleme hatten, sollen davon nicht profitieren. Für eben diese Unternehmen gelten weiterhin die gleichen Regeln wie bisher. Um spätere Diskussionen darüber zu vermeiden, ob die genannten Bedingungen erfüllt waren, wird dies vermutet, wenn das Unternehmen am 31. Dezember 2019 noch zahlungsfähig war.
Mehr Freiheiten für Geschäftsführer und Vorstände
Ist ein Unternehmen zahlungsunfähig oder überschuldet, hat dies neben der Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrages noch weitere Auswirkungen. Normalerweise gilt dann bei den häufigsten Gesellschaftsformen für Geschäftsführer und Vorstände des insolvenzreifen Unternehmens ein Zahlungsverbot. Dadurch soll das noch vorhandene Vermögen für die Gläubiger gesammelt und zusammengehalten werden. Geschäftsführer haften persönlich mit ihrem Privatvermögen, wenn sie trotzdem Rechnungen bezahlen und damit Geld abfließt. Eine haftungsfreie Fortführung des Geschäftsbetriebes ist dann nahezu unmöglich.
Das ist nun anders, allerdings auch nur, wenn das Coronavirus für die Probleme ursächlich ist und es Aussicht auf Herstellung einer ausreichenden Liquidität gibt. Auch hier wird dies wieder vermutet, wenn zum 31. Dezember 2019 die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens noch gegeben war. Dann besteht vorübergehend kein Zahlungsverbot, sofern die Zahlungen im „ordnungsgemäßen Geschäftsgang“ stattfinden.
Fokus auf Fortführung
Darunter fallen Zahlungen, mit denen der Geschäftsbetrieb aufrechterhalten werden kann, wieder aufgenommen oder durch die ein Sanierungskonzept umgesetzt wird. Zumindest die üblichen laufenden Verpflichtungen wie aktuelle Mieten, Lieferantenforderungen oder Löhne darf ein Geschäftsführer oder Vorstand also nun trotz Insolvenzreife seiner Gesellschaft bezahlen, ohne dass er riskiert, mit seinem Privatvermögen dafür geradestehen zu müssen.
Dies ist allerdings kein Freifahrtschein, in der Krise tun und lassen zu können, was man will: Neben den beschriebenen und sich aus der Neuregelung ergebenden Einschränkungen müssen insbesondere die sonstigen gesellschaftsrechtlichen und zivilrechtlichen Vorgaben eingehalten werden, die an die Leitungsorgane eines Unternehmen in der Krise nun erhöhte Anforderungen stellen.
Dokumentation und vorausschauende Planung
Vorerst gelten die neuen Regelungen bis zum 30. September 2020, eventuell werden sie bis zum 31. März 2021 verlängert. Diese Zeit sollten Geschäftsführer und Vorstände vorausschauend nutzen: Wenn unklar ist, ob man seine wirtschaftlichen Probleme in diesem Zeitraum zuverlässig gelöst bekommt und die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht dann wieder wegfällt, sollte man frühzeitig auch Optionen wie die Sanierung des Unternehmens über die geplante Einleitung eines Insolvenzverfahrens prüfen und vorbereiten.
Außerdem ist es besonders für Geschäftsführer und Organe wichtig, die aktuelle Situation zu dokumentieren, um später gegebenenfalls nachweisen zu können, dass die beschriebenen Bedingungen für die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vorlagen. Dazu ist zunächst zu dokumentieren, dass das Unternehmen zum 31. Dezember 2019 zahlungsfähig war. Durch eine laufend angepasste Liquiditätsplanung – je nach dem unter Berücksichtigung von beantragten Fördermitteln – sollte nachvollziehbar sein, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt die Aussicht auf eine Beseitigung einer bestehenden Zahlungsunfähigkeit tatsächlich nicht mehr bestand.
Rechtssicherheit auch für Geschäftspartner
Geld zurückzahlen, das man von seinem Kunden für eine erbrachte Dienstleistung, ein geliefertes Produkt oder gewährte Darlehen erhalten hat – zum Teil bereits vor mehreren Jahren? Diese Forderung trifft bislang jeden Tag zahlreiche Unternehmen und Finanzierer in Deutschland, die Geschäftsbeziehungen mit einem später insolventen Unternehmen hatten. Grund dafür ist die sogenannte Insolvenzanfechtung: Wenn man wusste, dass der Kunde in ernsthaften Liquiditätsproblemen steckt, kann dessen Insolvenzverwalter unter Umständen auch Jahre später noch Zahlungen zurückfordern. Auf seiner Forderung bleibt man dann – mit Ausnahme einer etwaigen Insolvenzquote – sitzen!
Das hat zur Folge, dass Unternehmen keine Geschäfte mit Firmen machen, die erkennbar Liquiditätsprobleme haben: Sie schränken Leistungen ein, beenden die Geschäftsbeziehung oder geben keine Kredite – obwohl all das gerade jetzt wichtig ist, um das Geschäft möglichst lange und so gut es geht am Laufen zu halten. Um dieses Problem zu lösen, wird auch die Insolvenzanfechtung weitgehend ausgesetzt – ebenfalls unter den beiden genannten Bedingungen. Geschützt werden sollen so – neben Lieferanten und Dienstleistern – auch Kreditinstitute und Gesellschafter, die neue Mittel zur Verfügung stellen.
Corona-spezifische Besonderheiten beachten
Allerdings gelten auch hier wieder verschiedene inhaltliche und zeitliche Einschränkungen und Eigenarten, die im Einzelfall greifen können. So erfolgt etwa bei erkennbar aussichtslosen Sanierungs- und Finanzierungsbemühungen des sich in der Krise befindlichen Unternehmens generell keine Privilegierung und die Erleichterungen gelten nur für den Zeitraum, in dem die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt ist. Rückzahlungen auf neu ausgereichte Kredite und entsprechende Besicherungen genießen einen zeitlich erweiterten Schutz, der bezüglich der Besicherung aber nicht für Gesellschafter gilt. Kommen die Mittel dafür aus den aktuellen staatlichen Hilfsprogrammen, ist der Schutz vor Anfechtung nochmals umfassender.
Unabhängig von den Details senken die Regelungen für alle Geschäftspartner von Unternehmen, die durch die Ausbreitung des Corona-Virus in eine Krise geraten sind, die Risiken einer Insolvenzanfechtung erheblich und stärken die Position derjenigen, die Unternehmen in dieser speziellen Situation stützen.