Indien wirtschaftlich fragil
Als Narendra Modi 2014 zur Wahl antrat, versprach er, die Wettbewerbsfähigkeit der indischen Industrie zu stärken und das Wachstum anzukurbeln. Modi kandidiert bei den aktuell laufenden indischen Parlamentswahlen wieder als Ministerpräsident. Die Wirtschaft sei zwar in einer besseren Position als 2014, meint der Kreditversicherer Coface. Aber viele der strukturellen Schwächen, die Modi geerbt habe, bremsten Indien auch heute noch. „So dämpft die gemischte Erfolgsbilanz bei den Wirtschaftsreformen die Begeisterung für Modi“, sagt Coface-Economist Carlos Casanova.
Die 2016 eingeführte Insolvenz- und Konkursordnung hat keine nennenswerte Beschleunigung der Verfahren gebracht. Das neue Recht sollte alle Insolvenz- und Konkursrechte konsolidieren und Non-Performing-Assets in den Bankbilanzen bekämpfen. Seit Einführung des Gesetzes wurden etwa 12.000 Fälle eingereicht. Jetzt haben Ressourcenkürzungen beim zuständigen Gericht (NCLT) zu erheblichen Verzögerungen geführt. Es dauert immer noch durchschnittlich 4,3 Jahre, bis die Insolvenz abgehandelt ist. „Die Navigation durch die rechtlichen Rahmenbedingungen kann sich auch für ausländische Investoren, die mit dem indischen Markt nicht vertraut sind, als äußerst schwierig erweisen“, erklärt Carlos Casanova.
Schattenwirtschaft
Ebenfalls 2016 griff Modi überraschend in die Geldwirtschaft ein, um Schattenwirtschaft, illegale Geldflüsse und Steuerhinterziehung zu bekämpfen, die die indische Wirtschaft belasten und zu niedrigeren Steuereinnahmen führen. Diese „Demonetisierung“ traf besonders bargeldabhängige Sektoren und führte zu einer schwächeren Nachfrage in der Realwirtschaft. „Die Maßnahmen wurden zu abrupt umgesetzt, was Investoren in Panik versetzte und Kapitalabflüsse auslöste“, meint Carlos Casanova.
Zur Steigerung der Staatseinnahmen wurde dann 2017 eine Waren- und Dienstleistungssteuer eingeführt. Zusammen mit der Demonetisierungskampagne führte das allerdings zu einem drastischen Einbruch der Inlandsnachfrage. Coface-Economist Casanova: „Die Steuerreform ist zwar ein Meilenstein, aber keineswegs perfekt: Sie ist nach wie vor recht komplex, da unterschiedliche Steuern für verschiedene Warenkategorien erhoben werden und viele wichtige Produkte, wie beispielsweise Öl, bisher nicht in das System einbezogen werden.“
Reformprozess
Modis Partei erlitt 2018 Rückschläge; obwohl sie immer noch 18 der 29 indischen Staaten regiert. Auch wenn der amtierende Premierminister eine einfache Mehrheit schafft, wird das neue indische Parlament wahrscheinlich fragmentiert sein. Dann müsste Modi politische und wirtschaftliche Kompromisse eingehen, was den Reformprozess Indiens ziemlich sicher verlangsamen würde. Laut Carlos Casanova müsse sich die neue Regierung auf die Sanierung des Bankensektors und die Förderung der Beschäftigung konzentrieren, um die wachsende Zahl der Arbeitskräfte in Indien aufzunehmen. 11 Millionen Jobs gingen 2018 verloren, davon 83 Prozent in ländlichen Gebieten.
„Das Wachstum der Industrieproduktion lag 2018 durchschnittlich bei 5,1 Prozent. Dies ist zwar ein Anstieg gegenüber den mageren 3,5 Prozent von 2017, aber weit entfernt vom potenziellen Wachstum Indiens und unter dem anderer regionaler Konkurrenten wie China”, erklärt Carlos Casanova. „Ausländische Direktinvestitionen sind unbedingt notwendig. Große Lieferengpässe behindern nach wie vor die Infrastrukturinvestitionen, die mittel- bis langfristig einen erheblichen Multiplikator-Effekt auf die Wirtschaftstätigkeit haben könnten, was wiederum zu mehr Zuflüssen in das verarbeitende Gewerbe führen sollte.”