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Im Spannungsfeld zwischen Wachstum und Kreditrisiko

Fachinformation
Vinzent Behn

Unternehmen stehen unter starkem Wachstumsdruck – und gleichzeitig wird von ihnen erwartet, dass sie finanzielle Risiken managen und keine Geschäfte mit “zweifelhaften Organisationen” tätigen.

Das relativ langsame Wachstum in den entwickelten Märkten drängt Unternehmen zusätzlich, höhere Wachstumsraten in vergleichsweise riskanteren Schwellenländern zu suchen, in denen oft weniger Informationen über potenzielle Geschäftspartner verfügbar sind. Wie reagieren Organisationen auf beide Anforderungen gleichzeitig?

Ein ganzheitlicher interner Ansatz für das Kreditrisikomanagement

Die obersten Führungsebenen von Unternehmen erkennen die Notwendigkeit einer integrierten Betrachtung von Kreditrisikomanagement und Vertrieb. Maßnahmen unserer Kunden beinhalten eine Kombination aus Reorganisation, Training, Technologieeinsatz, gemeinsame Nutzung vorhandener Ressourcen und umfassender Einsatz aller intern und extern verfügbaren Informationen.

Hinzu kommt, dass die Bedeutung von „Know your Customer“ (KYC) und regulatorischen Standards mehr Beachtung auf der Vorstandsagenda findet als je zuvor. Um Reputationsschäden zu vermeiden, wird es immer wichtiger, das Risikomanagement fest in der Unternehmensstrategie zu verankern. Laut Aussage des International Credit Manager, eines global agierenden Chemieunternehmens und Vorstandsmitglied der International Credit and Trade Finance Association (ICTF), kommt ein stärker integrierter Ansatz für das Kreditrisiko dem gesamten Unternehmen zugute: “Es beginnt bei der Unternehmensleitung, damit die gesamte Organisation klar definierten Zielen folgt. Je früher das Kreditrisiko-Management-Team einbezogen wird und einen Beitrag leisten kann, desto besser.”

Konsistenz – oder das Fehlen derselben – ist eine weitere Herausforderung für effektives Kreditrisikomanagement. Beispielsweise kommt es vor, dass große Unternehmen, die durch Akquisitionen über viele Jahre hinweg gewachsen sind, keine abgestimmte Risikodefinition haben. Die Direktorin „Lead-to-Cash“ eines internationalen Rohstoffkonzerns sagt: “Jeder Geschäftsbereich hatte einen anderen Ansatz. Ich habe mich nicht nur mit einem, sondern mit mehreren Kreditrisiko-Management-Ansätzen gleichzeitig beschäftigen müssen.” Letztendlich konnte sie diese Herausforderungen durch eine konzernweite Vereinheitlichung des Customer Onboarding, bessere Informationen, Systemintegration und Automatisierung der Kreditprozesse erfolgreich lösen.

Aber Entscheidungsträger sollten bedenken, dass diese Art von Umstrukturierung oder  Change Management am besten funktioniert, wenn die Menschen, die für das Unternehmen arbeiten, die neue Denkweise verstehen und akzeptieren. Einer unserer Kunden, Global Credit and Risk Consultant bei einem globalen Spezialchemiehersteller beschreibt seine Erfahrungen wie folgt: “Intern muss das Unternehmen die Mitarbeiter auf die höheren Transparenzanforderungen schulen. Zusätzlich müssen die zuständigen Change Manager die Prozesse klar beschreiben, regelmäßig überprüfen und sauber kommunizieren”.

Im ersten Schritt begegnet man diesen Herausforderungen mit einer sachgemäßen  Bewertung potenzieller Kunden in einem strukturierten Onboarding-Prozess.

Bewertung potenzieller Geschäftspartner – Onboarding als Erfolgsfaktor

Die Suche nach detaillierten Finanzdaten, Informationen über Beteiligungsverhältnisse,  das Zahlungsverhalten und die Bonität stellen oft eine Herausforderung für Kreditrisiko-Experten dar. Selbst in entwickelten Märkten wie den Vereinigten Staaten sind die von nicht-börsennotierten  Unternehmen veröffentlichten Informationen begrenzt, und direkte Vergleiche werden durch Unterschiede in Format und Methodik erschwert. Die genaue Kenntnis der Unternehmensstruktur, einschließlich Mutter- und Tochtergesellschaften bis hin zum wirtschaftlich Berechtigten (oder wirtschaftlichen Eigentümer) ist von Vorteil, wenn Organisationen wissen möchten, mit wem sie Geschäfte machen und das Konzernrisiko verstehen möchten.

Eines der am heftigsten diskutierten Themen im Kreditmarkt ist heute die Erschließung neuer Märkte, insbesondere in Afrika, Asien und Lateinamerika. In einer aktuellen Studie schreibt der Internationale Währungsfonds IMF, dass das kollektive Bruttoinlandsprodukt der Schwellenländer im Jahr 2018 um 4,6 Prozent anstieg, was doppelt so hoch war wie die in den weiter entwickelten Volkswirtschaften erzielten 2,3 Prozent.[1] Aber die Beschaffung von Unternehmensinformationen, an die Kreditmanager in entwickelten Märkten gewöhnt sind, ist meistens ungleich komplizierter. Zu den Herausforderungen gehören:

  • Mangel an verfügbaren Daten
  • Fehlendes Wissen, woher man die Daten beziehen kann
  • Fehlende Kenntnis von internationalen und unilateralen Sanktionen

Darüber hinaus gibt es keinen internationalen Standard für Unternehmensinformationen. So sind beispielsweise in Märkten wie Großbritannien und den Niederlanden detaillierte Finanzkennzahlen oft öffentlich zugänglich. In anderen Teilen der Welt wiederum sind die Kultur der Offenlegung und die Publikationsvorschriften oft sehr unterschiedlich.

Auch Zahlungsdaten werden häufig als Risikomessgröße verwendet, bei der private Unternehmen nur wenige Informationen offenlegen müssen, zum Beispiel in den USA. Die Bedeutung von Zahlungsdaten von US-Unternehmen ist erheblich, angesichts der gewichtigen Rolle, die US-Unternehmen im globalen Wirtschaftssystem spielen.

In den nächsten Kapiteln beleuchten wir wie Kreditrisiko-Experten diesen Informationslücken mit standardisierten Kennzahlen und Scoring-Modellen Rechnung tragen.

Standardisierte Kennzahlen

Neben der Verfügbarkeit von Daten auf Länderebene ist die Möglichkeit diese Daten auch vergleichen zu können, eine weitere Hürde, die Kreditrisiko-Manager in international tätigen Organisationen nehmen müssen. Globale Datenbanken können in diesem Fall eine wichtige Hilfe sein. Standardformate erleichtern den Vergleich von Unternehmen in allen Ländern, da regional unterschiedliche Meldevorschriften und Rechnungslegungsansätze herrschen. Mit diesen standardisierten Formaten können Anwender Unternehmen in allen Ländern nach den gleichen Kriterien wie Bilanzpositionen, GuV-Daten oder einheitlichen Branchencodes vergleichen und analysieren. Auch Prognosen für Finanzkennzahlen und Scores sind für bestimmte Unternehmen verfügbar, die auf Modellen basieren, die ein Unternehmen, seine Region und Branche bewerten.

Quantitative und qualitative Scores

Weltweit gibt es mehrere Anbieter globaler Unternehmensinformationen in Form von Datenbanken. Zum Beispiel liegen in der Datenbank Orbis von Bureau van Dijk detaillierte Finanzdaten für rund 35 Millionen Unternehmen vor. Aus diesen können quantitative Scores zur Beurteilung der Bonität herangezogen werden. Ein Beispiel für einen eher quantitativen Score ist der durchschnittliche MORE Score von ModeFinance, einer italienischen von der ESMA zertifizierten Ratingagentur. Dieser Score bietet dem Betrachter einen Einblick in das Risiko in Unternehmen auf Basis von Branche und geografischer Region. Neben einer Einschätzung der Bonität liefert der MORE Score eine Einteilung in Risikoklassen von AAA bis D basierend auf den Finanzdaten.

Wenn man allerdings nur über wenige oder gar keine Informationen zu den Unternehmensfinanzen verfügt, können qualitative Kreditrisiko-Scores bei der Beurteilung der Kreditwürdigkeit eines Unternehmens helfen. Das qualitative Scoring berücksichtigt unter anderem Faktoren wie:

  • das Management und seine Erfahrung, sowie Verweildauer im Unternehmen
  • Anzahl der Mitarbeiter
  • Struktur, einschließlich Beteiligungen, Tochtergesellschaften und Rechtsform
  • Vergleiche auf Basis von Region, Branche und Peer Group

Der Vorteil qualitativer Scores besteht darin, dass sie zur Beurteilung einer größeren Bandbreite von Unternehmen verwendet werden können als quantitative Scores.

So beinhaltet die oben erwähnte Orbis Datenbank zu 296 Millionen Unternehmen einen  qualitativen Risiko-Score und zu 268 Millionen Unternehmen ein Kreditlimit.

Analyse komplexer Beteiligungsstrukturen im internationalen Kontext

Transparenz über die Eigentumsverhältnisse von Unternehmen ermöglicht es Kreditrisiko-Spezialisten, einen Konzern zu beurteilen – oder bei einer Kreditvergabe die finanzielle Stabilität der Muttergesellschaft zu berücksichtigen. Dies ist wichtig, wenn für das von Ihnen analysierte Unternehmen keine Finanzkennzahlen vorliegen.

Robuste Unternehmensdaten sind hier von entscheidender Bedeutung, da die Namen der Tochtergesellschaften nicht immer erkennbar mit dem Namen der Muttergesellschaft verbunden sind, und Sie daher möglicherweise nicht sehen, dass ein potenzieller Geschäftspartner die Tochtergesellschaft eines anderen Unternehmens ist (siehe Tabelle 1).

Tabelle 1
Tabelle 1: Beispiel für übergeordnete und untergeordnete Unternehmen[2]

„Eine allzu konservative Bewertung möglicher Kunden kann sich negativ auf Ihre Wachstumschancen auswirken. In diesem Fall kann die Analyse von Beteiligungsstrukturen zusätzliche Sicherheit geben. Sei es beim Ausbau bestehender Kundenbeziehungen oder für den Aufbau neuer Geschäfte“, erklärt der Director Risk Solutions eines weltweit agierenden Datenanbieters. Die Zusammenführung der internen Daten einer Organisation  mit den externen Informationen über die Beteiligungsverhältnisse eines möglichen Geschäftspartners hilft, die Exposure gegenüber Konzerngruppen zu ermitteln und konzentrierte Risiken aufzudecken. So erkennen Organisationen die Notwendigkeit, das Engagement in bestimmten Konzernen zu reduzieren oder aber Chancen, Kreditrahmen und Umsätze zu erhöhen.

Risiken durch Geschäftsbeziehungen mit sanktionierten Unternehmen

Der Zugang zu Informationen über die Beteiligungsstrukturen und die Ermittlung des wirtschaftlichen Eigentümers hilft Organisationen, das Risiko von Geschäften mit sanktionierten Unternehmen oder Einheiten zu verringern. Ein Beispiel: im April 2018 nahm OFAC (Office of Foreign Assets Control des US-Finanzministeriums) zwölf russische Staatsangehörige in die Sanktionsliste der Specially Designated Nationals (SDN) auf. Ihnen wurde Manipulation der US-Wahlen im Jahr 2016 vorgeworfen. Mit Hilfe einer internationalen Datenbank konnten 1.300 Unternehmen identifiziert werden, die von einer „erweiterten Sanktionierung betroffen waren (sanctioned by extension), dass heißt an denen die zwölf Individuen beteiligt waren. 90 Prozent der Unternehmen waren außerhalb der USA registriert.[3] Diese Unternehmen stehen nicht auf Sanktionslisten, aber Geschäftsbeziehungen mit diesen können trotzdem zu Strafverfolgung durch die US-Justizvollzugsbehörden führen.

Graphik 1
Graphik 1: Beispiel für erweiterte Sanktionierung (sanctioned by extension)[4]

Informationen machen Kreditrisiko zum Umsatzmotor

Legacy-Technologien und konzernweit heterogene Geschäftspraktiken stellen weiterhin einige der weltweit größten und erfolgreichsten Unternehmen vor Herausforderungen. Allerdings wird die Fähigkeit, Informationen besser zu nutzen, um die bestmöglichen Entscheidungen zu treffen, zunehmen.

Eine ganzheitlicher Kreditrisiko-Ansatz auf Basis einer einheitlichen Methodik sowie die Verfügbarkeit und Analyse der besten, am Markt verfügbaren, Informationen ist ein entscheidender Erfolgsfaktor für Umsatzwachstum und das Erreichen der strategischen Ziele. Auch die Beziehung zwischen Geschäftsentwicklung und Risikomanagement profitiert von diesen Informationen, da sie das Kreditrisiko-Management zu einem Wegbereiter für zusätzliche Umsätze anstatt zu einer „Verhinderungsinstanz“ machen. Obwohl die durch aktuelle Regulierung und Kundenerwartungen geforderte, höhere Transparenz eine Herausforderung darstellt, haben Unternehmen heute Zugang zu mehr Informationen und besseren Technologien als je zuvor, um ihr Risiko zu managen. Im Zuge der Globalisierung wird somit auch der Druck auf die Unternehmen zunehmen, das optimale Gleichgewicht zwischen Wachstum und Kreditrisiko zu finden.

[1] Quelle: IMF, World Economic Outlook October 2018

[2] Quelle: Unternehmensdatenbank Orbis Oktober 2018, Bureau van Dijk, a Moody’s Analytics Company

[3] Quelle: Department of the Treasury (US), April 2018

[4] Quelle: Unternehmensdatenbank Orbis, Graphik Ownership Explorer 2018, Bureau van Dijk, a Moody’s Analytics Company

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